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Museum der Primärnationen (Nordamerika Native Museum, "Indianermuseum") Zürich

1. Der Sinn des Museums - das Museum seit 1963

Tipi-Zelte der Primärnationen
              ("Indianer"), aber man darf bei der Ansicht
              solcher "Stillleben" nicht romantisieren
Tipi-Zelte der Primärnationen ("Indianer"), aber man darf bei der  Ansicht solcher "Stillleben" nicht romantisieren [2]

präsentiert von Michael Palomino (2012)

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aus:
Prestel-Museumsführer, Text von Denise Daenzer und Tina Wodiunig: Indianermuseum der Stadt Zürich; Prestel-Verlag; München, New York 1996; gefördert durch die Cassinelli-Vogel-Stiftung, Zürich, MIGROS Kulturprozent, Volkart-Stiftung, Winterthur; ISBN 3-7913-1635-4


Kommentar

In diesem Museum über die Primärnationen in Zürich können wir ansatzweise sehen, was die Primärnationen für eine reichhaltige Kultur hatten, und was der heutigen Zivilisation fehlt: Es fehlt die Beziehung zu Mutter Erde, zur Harmonie der Elemente und zum Grossen Geist. Behandelt werden die Malereien von Karl Bodmer, einige Kleidungsstücke, Quillarbeit und Perlenstickerei, Federschmuck, Silberschmuck, Flechterei, Töpferei, Hornschnitzerei, Holzschnitzerei, Statuetten (Kachinas) und Tabakrauchen und Pfeifen. Heilmedizin, die Anbetungsrituale und die Beziehung zur Umwelt wird man in anderer Literatur sicher finden.

Michael Palomino, 4.6.2012

Buchdeckel mit Sio Hemis Kachina
vergrössernBuchdeckel mit Sio Hemis Kachina [1]


[Autorinnen]

Denise Daenzer (1947), lic. phil., Studium der Ethnologie und Pädagogik in Zürich. Lehrerin an den Berufsschulen Zürich. Konzeptionelle Mitarbeit und Betreuung von verschiedenen Ausstellungen. Heute Dozentin an der Höheren Schule für Gestaltung in Zürich und seit 1993 leitende Konservatorin im Indianermuseum der Stadt Zürich. Mitglied der Schweizerischen Ethnologischen Museumskommission.

Tina Wodiuning (1960), lic. phil, Studium der Ethnologie, Sinologie und Psychologie in Zürich. Mehrjährige Tätigkeit als Grundschullehrerin. Feldforschung in der südwestchinesischen Provinz Yunnan zum Thema ethnische Identität. Heute wissenschaftliche Mitarbeiterin und stellvertretende Leiterin des Indianermuseums der Stadt Zürich. Vorstandsmitglied von EDAI (Economic Development for Amerindians). (S.96)

[Die generelle Warnung: "Indianer" darf man nicht romantisieren]

Noch immer ist das landläufige Indianerbild romantisiert und heroisiert, von der Wirklichkeit entrückt. So als seien die indianischen Völker und Kulturen gar nicht mehr vorhanden, als sei das alles Vergangenheit, Legende fürs Kino, Material fürs Museum. Dabei hört man fast täglich von den heutigen Kämpfen der Indianer, von ihrem Verlust an Lebensraum, an Eigentum und Eigenart. Aber dennoch halten sich viele lieber an jene verklärenden Darstellungen einer heilen Indianerwelt, in der es weder Uranabbau im Indianergebiet noch McDonald's und Coca-Cola gibt, weder Alkoholismus noch Arbeitslosigkeit. Doch das Bild der reinen, widerspruchslosen Indianernatur und Indianerkultur ist ein Wunschbild, eine Fiktion, die nie der Wirklichkeit entsprach - nicht in der Zeit von Sitting Bull und schon gar nicht in unserer Zeit.

Das Zürcher Indianermuseum will einen Beitrag zur Korrektur solcher Klischees leisten. Nicht eine Neuauflage des alten Repertoires mit Tomahawk, Tipi, Wigwam und Skalp samt Federschmuck und Friedenspfeife steht auf dem Museumsprogramm, statt dessen unbefangenes Beobachten indianischer Lebensformen, behutsame Annäherungen an ihre Kulturen, an ihre Mythen und Visionen, an ihre Geschichte und Gegenwart.

Tipi-Zelte der Primärnationen
                          ("Indianer"), aber man darf bei der
                          Ansicht solcher "Stillleben" nicht
                          romantisieren
vergrössernTipi-Zelte der Primärnationen ("Indianer") [2]
Opfergabe bei den Pueblo-Ureinwohnern
vergrössernOpfergabe bei den Pueblo-Ureinwohnern ("Indianer") [3]

Aber man darf bei der Ansicht solcher "Stillleben" nicht romantisieren. In diesen Kulturen wurde auch geraubt, Blutrache betrieben, Leute aus Ehre ermordet etc.

[Darstellung von Lebensvorgängen]

Eine solche Museums- und Ausstellungsarbeit stellt nicht mehr Objekte isoliert in den Mittelpunkt, sondern die individuellen und kollektiven Lebensvorgänge, die Entwicklungsprozesse zwischen Tradition und Veränderung, zwischen Anpassung und Widerstand. Dabei geht es nicht darum, Pauschalantworten zu liefern, sondern vor allem Fragen zu stellen - kritisch und auch selbstkritisch. Das Museum der Gegenwart (und der Zukunft) soll sowohl Fenster wie Spiegel sein, es soll den Blick öffnen, nach aussen und innen, und zu Begegnungen einladen: zur Begegnung mit der Welt, mit dem Anderen, mit dem Fremden - und zur Begegnung mit dem Eigenen, zur Begegnung mit sich selbst.

Die Sammlung des Indianermuseums umfasst rund 2000 Objekte sowie eine wertvolle Kollektion kolorierter Stiche des legendären Zürcher Indianermalers Karl Bodmer. Ausserdem ist dem Museum eine repräsentative Fachbibliothek angegliedert, die allerdings nur für Studienzwecke offensteht.

[Die Anfänge des Museums in Zürich Aussersihl 1963]

Die ursprünglich private Sammlung des Zürcher Lehrerehepaares Martha und Gottfried Hotz wurde der Öffentlichkeit erstmals 1961 im Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich unter dem Titel "Aus Zelt und Wigwam - Indianer Nordamerikas" vorgestellt. Nachdem sich das Berliner Völkerkundemuseum um die Übernahme des gesamten Ausstellungsgutes bemüht hatte, setze sich Jakob R. Welti, Redaktor bei der "Neuen Zürcher Zeitung", mit Erfolg für den Erwerb der interessanten Objekte durch die Stadt Zürich ein, wofür die Zustimmung des Gemeinde- und des Stadtrates notwendig war. In der Folge wurde die "Sammlung Hotz" zunächst eingelagert, bevor man im Schulhaus Feldstrasse in Zürich Aussersihl drei Klassenzimmer zu provisorischen Museumsräumen umgestalten und das "Indianermuseum der Stadt Zürich" im Februar 1963 unter der Leitung von Gottfried Hotz eröffnen konnte. Zu dessen Nachfolger wurde 1977 Hans Läng berufen, der die Sammlung - ebenfalls gemeinsam mit seiner Frau - weiter ausbaute und sich vor (S.4) allem auch als Publizist und engagierter Vermittler indianischer Kulturen internationales Ansehen erwarb.

[Diskussionen um Sinn und Zweck bei Ausstellungen]

Nach dem altersbedingten Rücktritt von Hans Läng im April 1993 erfolgte insofern eine Neuorientierung der Museumsarbeit, als seither nicht mehr nur wechselnde Auswahlschauen aus dem Fundus der Sammlung gezeigt werden, sondern auch thematisch gestaltete Ausstellungen, und zwar sowohl innerhalb als auch ausserhalb des Museums. So befasste sich die Ausstellung "Austausch oder Ausverkauf?" mit einigen kritischen Aspekten unserer Beziehung zur indianischen Vergangenheit und Gegenwart, wobei neben dem "Indianertourismus" und dem internationalen Kunsthandel auch die Rolle der Museen zur Diskussion gestellt wurde, die oft in den Besitz eines Erbes gekommen sind, das ihnen nicht unbedingt zusteht. Bei einer anderen Ausstellung, die den Titel "Zwischen Anspruch und Wirklichkeit" trug, ging es um die Kluft zwischen indianischem Sein und Schein in einer zunehmend amerikanisierten Umgebung sowie um den Wandel des Selbstverständnisses von alten und jungen Indianerinnen und Indianern.

[Museen der Primärnationen ausserhalb "Amerikas" - oder "Amerika"-Abteilungen in Völkerkundemuseen]

Auch wenn das Indianermuseum zu den kleinen Zürcher Museen zählt, ist es von gesamtschweizerischer, wenn nicht gar europäischer Bedeutung: dank einer Sammlung, die sich durch ihre Qualität auszeichnet ebenso wie durch ihre Originalität. Neben dem Indianermuseum in Radebeul bei Dresden ist das Zürcher Indianermuseum das einzige ausserhalb Amerikas, das sich ausschliesslich auf das Sammeln, Konservieren und Vermitteln von Zeugnissen nordamerikanischer Kulturen konzentriert. Andere Amerikasammlungen sind in die grossen europäischen Völkerkundemuseen eingefügt und der Öffentlichkeit in der Regel nur beschränkt zugänglich.

[Veranstaltungen des Museums der Primärnationen ("Indianermuseum")]

Aus dem Bemühen, die konventionellen Sammlungsmodelle und Ausstellungsmuster zu überwinden und aus der musealen Insel des Bewahrens ein offenes Forum der Begegnung werden zu lassen, organisiert das Indianermuseum immer wieder Veranstaltungen und Veranstaltungsreihen zu den verschiedensten Themenkreisen: Vorträge, Workshops und Debatten, Kurse und Filmvorführungen, literarische Lesungen und Konzerte sowie Tages- und Ferienkurse - auch für Kinder, Schüler und Jugendliche. Dazu gibt es ein Angebot von gewissenhaft geplanten und gut geführten Gruppenreisen, die auf alten und neuen Spuren Begegnungen mit Indianerinnen und Indianern und ihren Kulturen ermöglichen wollen - auf unkomplizierte, persönliche Art.

[Der Museumsladen mit Direkthandel ohne Zwischenhandel]

Als Ergänzung zum Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm sowie als kleiner, aber konkreter Beitrag zur "Entmusealisierung" indianischer Kreativität und Kultur hat das Indianermuseum einen Museumsladen eingerichtet. Hier können- neben ausgewählten Büchern, CDs und Zeitschriften - zeitgenössische Objekte indianischer Herkunft erworben werden: Bilder, Kleider, Keramik, Schmuck und Musikinstrumente sowie traditionelle Gebrauchsgeräte. Da diese Objekte grundsätzlich direkt und ohne Zwischenhandel erworben werden, können den Künstlerinnen und Künstlern, Handwerkerinnen und Handwerkern, mit denen das Museum intensive Kontakte pflegt, faire Preise gezahlt werden.

Kooperation findet schliesslich auch mit verschiedenen Institutionen und Organisationen statt, die dem Indianermuseum freundschaftlich verbunden (S.5) sind: so mit dem Völkerkundemuseum der Universität Zürich, mit der pädagogischen Fachstelle Schule & Museum des Zürcher Pestalozzianums, mit Incomindios (Internaitonales Komitee für die Indianer Amerikas), mit Amerindias (Interessengemeinschaft für die indianische Kultur) sowie mit EDAI (Economic Development for Amerindians), um nur einige Stellen zu nennen, die sich in der Schweiz in unserem Sinne engagieren: sei es für eine kritische Museumsarbeit, sei es für die Sache der Indianer [Primärnationen]. (S.6)


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